Carl Orff – Biografische Skizze

Orffs Musik, seine musikē – ich gebrauche mit Absicht den griechischen Ausdruck –, bietet weniger für das Ohr als die traditionelle Opernmusik. Dafür bezieht sie aber alle Sinne ein; denn sie ist nicht nur Ton, sondern auch Tanz, nicht nur Klang, sondern auch Spiel, nicht nur Gesang, sondern auch Szene, Theater – sie ist Musik im Sinne einer alle Künste vereinenden und zusammenschließenden Musenkunst, wie sie zuerst die Griechen entwarfen.
(Hans Maier)

Carl Orff wurde am 10. Juli 1895 in München geboren. Bereits mit fünf Jahren bekam er Klavierunterricht, später kamen Cello- und Orgelstudien hinzu. Ab 1903 lassen sich regelmäßige Theater- und Opernbesuche nachweisen. 1911 erschien sein erstes gedrucktes Werk, das Lied „Eiland, ein Sang vom Chiemsee“, noch bevor Orff systematische Kurse in Musiktheorie besucht hatte. Von 1912 bis 1914 studierte er an der Münchner Akademie der Tonkunst bei Anton Beer-Walbrunn Komposition, ab 1914 bei Hermann Zilcher Klavier. 1915 sammelte Orff erste praktische Erfahrungen am Theater, er arbeitete als Korrepetitor und wurde ein Jahr später Kapellmeister an den Münchner Kammerspielen. Nach kurzem Kriegsdienst wechselte er 1918 als Kapellmeister zu Wilhelm Furtwängler an das Mannheimer Nationaltheater und das Landestheater Darmstadt. Bei Heinrich Kaminski nahm Orff erneut Kompositionsunterricht und beschäftigte sich intensiv mit Bach, Buxtehude, Pachelbel und besonders Monteverdi. Als Mitbegründer der „Günther-Schule" für Gymnastik, Musik und Tanz in München (1924) übernahm er die Leitung der Abteilung für Tänzerische Musikerziehung. Hier fand Orff ein ideales pädagogisches Experimentierfeld, um das „Orff-Schulwerk" (1930-1934/1950-1954) zu entwickeln, das sich mit großem Erfolg weltweit verbreitete und bis heute auch in der Sozial- und Heilpädagogik eingesetzt wird. 1936 erhielt Orff den Auftrag, einen Teil der Einzugsmusik zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele zu komponieren. Von 1950 bis 1960 leitete er eine Meisterklasse für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in München. Ab 1955 lebte er in Dießen am Ammersee; er starb am 29. März 1982 in München.

Von Anfang an konzentrierte sich Orff ausschließlich auf textgebundene Musik. Sein Anliegen war, Theater, Musik, Tanz und Schauspiel zu einer Einheit zu verbinden, wobei die rhythmische Organisation der Sprache oft das kompositorische Gerüst bildet. 1912 komponierte Orff sein erstes Chorwerk („Also sprach Zarathustra“, nach Nietzsche) und eine frühe, noch stark unter dem Eindruck Debussys stehende Oper Gisei, das Opfer, die 1913 fertiggestellt wurde. Über Studien der Kontrapunktik alter Meister fand Orff schließlich zu einem eigenen Stil. Seine Faszination für die Schriften des Mittelalters und der Antike schlug sich in Werken wie dem Zyklus Trionfi (Carmina Burana, 1936, Catulli Carmina, 1943 und Trionfo di Afrodite, 1951), den Nachdichtungen Hölderlins auf griechische Dramen Antigonae (1949) und Oedipus der Tyrann (1959) sowie Aischylos‘ Prometheus (1967) nieder. Einer zweiten Gruppe sind die märchenhaften Werke Der Mond (1938/71) und Die Kluge (1942) zuzurechnen. Beeindruckt vom Vokalreichtum des Dialekts schrieb Orff auch Werke in altbayerischer Mundart: Die Bernauerin (1946). Sein letztes Bühnenwerk, das Mysterium De temporum fine comoedia, wurde 1973 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.

Die Carmina Burana sind Carl Orffs bekannteste Komposition. Die als szenische Kantate zusammengefügten Gesänge entstanden auf Texte einer mittelalterlichen Handschrift aus dem Kloster Benediktbeuern. In einer Mischung von archaisierender Harmonik und tänzerisch-pulsierender Rhythmik hat Orff eine Musik von enormer Dynamik geschaffen. Nicht zuletzt der mächtige, die Frühlings-, Trink- und Liebeslieder umrahmende „Fortuna“-Chor machte die Carmina Burana zu einem der meist gespielten Werke der Musik des 20. Jahrhunderts.

Carl Orff erhielt die Ehrendoktorwürde der Universitäten Tübingen (1959) und München (1972) sowie das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland (1972). Im Jahr 1947 wurde ihm der Musikpreis der Stadt München und 1974 der Romano Guardini Preis der Katholischen Akademie in Bayern verliehen. Carl Orff war Ehrenbürger der Stadt München und Mitglied des Ordens pour le mérite für Wissenschaften und Künste. In Dießen am Ammersee erinnert das Carl Orff Museum an Leben und Werk des Komponisten; mehrfach wurden pädagogische Einrichtungen, Schulen und Institutionen nach ihm benannt.

English